Es war einmal ein Schäfer dem der Wolf all seine Schafe gefressen hatte. So ging er auf Wanderschaft und sah einen Mann der neben seinem Haus einen Baum fällen wollte. In dem Moment als dieser die Axt hob, hörte der Schäfer ein Rufen – hoch und fein, keine Stimme, wie ein Schwingen in der Luft: „Hilf mir, du sollst es nicht bereuen!“ So hält er den Mann auf und bietet ihm an, ihn von seinem Baum zu befreien. So gräbt er den Baum sorgsam mit allen Wurzeln aus und macht sich wieder auf den Weg.
Lange noch hört er das Lachen des Mannes hinter sich.Der Schäfer ohne Schafe zieht weiter und hört in einem Dorf, dass der König schwer krank ist und an einer starken Verstopfung leidet. Da hört er ein Rufen – hoch und fein, keine Stimme, wie ein Schwingen in der Luft: „Schneide die Wurzel und gib ihm davon zu trinken.“ So sagt der Schäfer den Dorfbewohnern, sie sollen dem König sagen, dass er ihm helfen werde. Die Leute lachen, doch er schneidet die Wurzel, gibt sie in Wasser, bis es sich braun färbt. Der Zustand des Königs ist hoffnungs- los, und so trinkt er den Saft, „Wenn er stirbt, verlierst du den Kopf!“, rufen die Leute. Doch nach zwei Tagen wird die Genesung des Königs bekannt gegeben. „Sag, was du dir wünschst“, befiehlt der König, „Juwelen, Gold, Pferd oder Schiff.“ „Nein“, sagt der Schäfer, „Erde für meinen Baum.“ Alle lachen über den dummen Kerl. „Gebt ihm ein Stück Land für seinen Baum.“ Es ist ein schönes Stück Land, auf das er seinen Baum pflanzt. An dem Tag, an dem die Sonne am höchsten steht, schläft der Schäfer unter einem Dach aus feinen, weißen Blüten.
Da hört er wieder Rufe aus weiter Ferne: „Der König ist außer sich! Keine Speise will ihm schmecken, keine Speise ist ihm recht. Köche, kommt aus euren Häusern!“ Da hört der Schäfer ein Rufen – hoch und fein, keine Stimme, wie ein Schwingen in der Luft: „Pflücke die Blüten, und backe sie in Mehl.“ „He, ho“, ruft der Schäfer, „ich möchte dem König etwas kochen!“
Der König beißt vorsichtig in das braune Fremde, schluckt, schmatzt, schmatzt immer lauter, brüllt „mehr, mehr“, der Schäfer rennt, pflückt und bäckt. Der König blüht, er strahlt, er küsst den Schäfer. „Sag was du willst: Juwelen, das halbe Reich, den Hofstaat!“ „Nein“, sagt der Schäfer, „ein kleines Häuschen neben meinem Baum.“ Es ist ein hübsches, kleines Haus auf dem Land neben dem Baum. Als die Sonne den Zug Richtung Winter nimmt, hängt sein Baum voll mit schwarzen Beeren.
Da hört er abermals: „Hört ihr Leute! Der König hat sich blau- gefärbt und bekommt keine Luft mehr.“ Da hört der Schäfer ein Rufen – hoch und fein, keine Stimme, wie ein Schwingen in der Luft: „Schabe die Rinde – von unten nach oben – schnell!“
Der Schäfer tut es und presst dem König, der schon mehr tot als lebendig ist, das Stückchen in den Mund. Der König würgt, hustet, spuckt und bekommt wieder Luft. Als die Farbe wieder in sein Gesicht zurückkehrt, fragt er: „Wer hat mich gerettet?“ „Ich“, sagt der Schäfer bescheiden. So fragte der König ihn wieder, was sich der Schäfer wünsche. „Ich habe einen Baum. Und Land mit einem Haus drauf. Was fehlt, ist eine Frau. Die Prinzes- sin würde mir schon gefallen!“ Da wird dem König ganz anders und fragt den Schäfer „Was kannst du meiner Tochter bieten?“, will der König wissen. Einen Wunderbaum, mein König – ich kann ihr einen Wunderbaum bieten!“
„Und was kannst du meinem Volk bieten, wenn es einmal deines sein wird?“ „Einen Wunderbaum, mein König, ich kann meinem Volk einen Wunderbaum bieten!“ „Gut, du sollst meine Tochter haben – wenn sie dich will!“ Natürlich will sie und jeder im Land bekam einen Trieb des Wunderbaumes, und nun wisst ihr, warum man bei jedem Haus noch heute einen Holunderstrauch stehen sehen kann.
Der Holunderbusch wächst besonders gerne in der Nähe von Behausungen, daher ist es meistens recht einfach, ihn zu finden. Von Mai bis Ende Juni kann man die die weißen, duftenden Blüten ernten. Im September und Oktober die reifen Beeren. Die dunklen Steinfrüchte sind roh unverträglich und lösen Verdauungsbeschwerden aus. Die Beeren können somit nur gekocht verzehrt werden. Vorsicht bei der Ernte: Die grünen Blätter sind giftig. Als Tee werden seine Blüten gerne für Schwitzkuren bei Fieber und Erkältung eingesetzt. Die schwarzen Holunderbeeren sind sehr
Vitamin C haltig und können als Saft, Mus oder Marmelade eingenommen werden. Im Volksglauben hausen die guten Hausgeister in Holunder- Bäumen, daher überlegt sich der abergläubische Landbewohner ganz genau, ob er einen Holunder fällen soll oder nicht.